Ausgeprägte Wechselwirkungen zwischen elektrischem Antrieb und ungleichförmig übersetzendem Getriebe
Das viergliedrige Kurbelgetriebe ist eine kinematische Grundstruktur, die der kinematische Struktur zahlreicher Mechanismen zugrunde liegt. Kurbelgetriebe werden z.B. als Führungsgetriebe eingesetzt, um ein Werkzeug auf einer bestimmten Bahn zu führen oder als Übertragungsgetriebe, um einen festen Zusammenhang zwischen der Antriebsstellung und der Abtriebsstellung zu erzeugen.
Letztere Aufgabe übernimmt z. B. auch die Reihenschaltung zweier viergliedriger Kurbelgetriebe im Antriebsstrang des Siebsortierers in Bild 1.
Am IGMR wurde der in Bild 2 dargestellte Prüfstand für die Untersuchung eins viergliedrigen Kurbelgetriebes entwickelt. Das Kurbelgetriebe wird durch einen Synchron-Servomotor angetrieben. Wenn die Reglerparameter des Servoverstärkers nach Anleitung des Herstellers eingestellt werden, zeigen sich deutliche Schwankungen im Verlauf der Antriebsdrehzahl, die auf die ungleichförmige Belastung des Antriebs zurückzuführen sind. In Bild 3 ist ein gemessener Ist-Drehzahlverlauf für einen Rampenförmigen bzw. konstanten Solldrehzahlverlauf dargestellt.
Simulationsmodell des mechatronischen Systems
Bild 4: Architektur des Kurbelgetriebeprüfstands
Für das Gesamtsystem des Prüfstands wurde ein Modell erstellt, um das dynamische Verhalten dieses Systems in einer rein virtuellen Umgebung untersuchen zu können, Bild 4. Bei der Modellerstellung wurde zunächst ein physikalisches Modell derjenigen Teile des technischen Systems aufgestellt, die für das dynamische Verhalten verantwortlich sind. Bei diesem Schritt wurde bereits festgelegt, welche physikalischen Effekte berücksichtigt werden und welche Eigenschaften mit dem Modell beschrieben werden können. Dabei war zu beachten, das die für die Modellbeschreibung eingeführten Modellparameter am realen System mit ausreichender Genauigkeit z.B. durch Berechnung, Messung oder durch Versuche bestimmt werden können.
Mehrkörpermodell des mechanischen Teilssystems
Bild 5: Mehrkörpermodell des Kurbelgetriebes und berechneter Antriebsmomentenverlauf
Die Simulation mechanischer Systeme ist mit Mehrkörpersimulationsprogrammen wie z.B. ADAMS möglich. Bild 5 zeigt das Mehrkörpermodell des Kurbelgetriebes. Ein derartiges Modell kann bereits in der Konstruktionsphase für die Dimensionierung der Getriebebauteile und des Antriebs verwendet werden.
Modell des Servomotors und des Servoverstärkers
Bild 6: Simulation des Schwingungsverhaltens mit Berücksichtigung der Wechselwirkungen
Um die Wechselwirkungen zwischen dem Antrieb, der Regelung und dem Getriebe bei den Simulationen zu berücksichtigen, muss das dynamische Verhalten des Motors und des Servoverstärkers ebenfalls vom Simulationsmodell erfasst werden.
Der Servoverstärker stellt eine Drehzahlregelung mit unterlagerter Stromregelung in Form einer Kaskadenregelung bereit. Diese wurde für die virtuelle Umgebung in MATLAB/Simulink implementiert. Im vorliegenden Fall waren in den Datenblättern der Motorhersteller nur die Parameter eines äquivalenten Gleichstrommotors angegeben, obwohl es sich um einen Drehstrommotor handelt. Für die Zwecke der virtuellen Prüfstandsumgebung in Bild 3 war eine derartige Modellierung des Synchron Servomotors jedoch ausreichend. Das Motormodell wurde ebenfalls in MATLAB/Simulink erstellt und ist oben rechts in Bild 6 abgebildet.
Numerische Analyse des Zeitverhaltens
Eine Co-Simulation von MATLAB/Simulink und ADAMS liefert Zeitverläufe der Zustandsgrößen wie z.B. den in Bild 6 dargestellten Verlauf des Motorstroms. Es ist möglich durch Veränderungen am Modell, die Auswirkung einzelner Fehlerquellen (z.B. Lagerungselastizitäten) oder Störgrößen (z.B. Reibung) auf das dynamische Systemverhalten zu untersuchen. Das Modell eröffnet die Möglichkeit, bereits in der Konstruktionsphase durch Parametervariation die für das dynamische Verhalten relevanten Effekte zu analysieren. Eine gesicherte Aussage über nicht untersuchte Fälle ist jedoch nicht möglich. Diese Möglichkeit eröffnet sich erst durch eine analytische Betrachtung mit Hilfe von Schwingungsmodellen.
Modellbasierte Analyse des dynamischen Systems
Bild 7: Mehrkörpermodell und Schwingungsmodell des Kurbelgetriebes
Letztlich besteht die Aufgabe der Modellbildung darin, das Modell so einfach wie möglich und nur so komplex und aufwendig wie nötig zu entwerfen. Häufig können Mehrkörpermodelle noch vereinfacht und abstrahiert werden, indem äquivalente, auf Gestellachsen reduzierte Ersatzmodelle für Teile des Mehrkörpermodells eingesetzt werden. Diese stark abstrahierten Modelle werden Schwingungsmodell genannt.
Schwingungsmodelle sind aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrades besonders gut für eine mathematische Beschreibung und Analyse durch Gleichungen in symbolischer Form geeignet. Die Verwendung von symbolischen Gleichungen bietet z.B. die Möglichkeit, die Relevanz einzelner Parameter für das Bewegungs- oder Stabilitätsverhalten analytisch zu bestimmen.
Für das Kurbelgetriebe lässt sich z.B. ein Schwingungsmodell mit drei Freiheitsgraden bilden, Bild 7. Darin wird das Spiel im Planetengetriebe durch das Feder/Dämpferelement c1/k1 berücksichtigt und die Elastizität der Schwinge wird durch das Feder/Dämpferelement c2/k2 im Schwingungsmodell abgebildet, während alle Massen und Massenträgheitsmomente des Ausgangsmodells auf die Massenträgheitsmomente J1 bis J4 und JK im Schwingungsmodell reduziert wurden. Die symbolischen Bewegungsgleichungen dieses Systems wurden im Rahmen des Entwurfs von Maßnahmen zur Schwingungsminderung verwendet, um das System in Hinblick auf Schwingungsursachen und Gegenmaßnahmen zu analysieren.